Die Kaufmannschen Messungen der Ablenkbarkeit der β-Strahlen in ihrer Bedeutung für die Dynamik der Elektronen

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Autor: Max Planck
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Titel: Die Kaufmannschen Messungen der Ablenkbarkeit der β-Strahlen in ihrer Bedeutung für die Dynamik der Elektronen
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aus: Physikalische Zeitschrift, Jg. 7, Nr. 21, S. 753–761
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Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: S. Hirzel
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Erscheinungsort: Leipzig
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siehe auch Nachtrag zu der Besprechung der Kaufmannschen Ablenkungsmessungen
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[753] Max Planck (Berlin), Die Kaufmannschen Messungen der Ablenkbarkeit der -Strahlen in ihrer Bedeutung für die Dynamik der Elektronen.

Meine Herren! Wohl alle Physiker, welche sich spezieller für die Entwickelung des neuesten Zweiges der Elektrodynamik, der Mechanik der Elektronen, interessieren, haben mit großer Spannung dem Ergebnis der im vorigen Jahre von Herrn W. Kaufmann unternommenen subtilen Messungen der elektrisch-magnetischen Ablenkbarkeit der -Strahlen des Radiums entgegengesehen, und die an diese Versuche geknüpften Erwartungen sind auch in hohem Maße erfüllt worden; denn Herr Kaufmann hat aus ihnen eine große Menge [754] wertvoller Daten gewonnen, und er hat außerdem, was besonders dankbar anerkannt werden muß, der Öffentlichkeit ein so reiches und zuverlässiges Zahlenmaterial zur Verfügung gestellt[1], daß ein jeder in die Lage versetzt ist, die von Herrn Kaufmann gezogenen Schlußfolgerungen selbständig nachzuprüfen und zu ergänzen.

Von dieser Anregung habe ich um so lieber Gebrauch gemacht, als ja die Frage, welcher die Kaufmannschen Versuche gewidmet sind, für verschiedene elektrodynamische Theorien geradezu eine Lebensfrage ist. Von mehreren dieser Theorien liegen bekanntlich schon eine Anzahl ausgezeichneter mathematischer Untersuchungen vor, und deren physikalische Bedeutung würde natürlich mit einem Schlage aufgehoben, wenn die betreffende Theorie in dem entstandenen Wettstreit unterliegen müßte.

§ 1. Bewegungsgleichungen.

Die Methode, nach welcher Herr Kaufmann den Inhalt der verschiedenen Theorien an seinen Messungen geprüft hat, darf ich hier als bekannt voraussetzen. Mir lag nun zunächst daran, zu sehen, wie weit die einzelnen gemessenen Ablenkungen von denjenigen entfernt liegen, welche aus den verschiedenen Theorien auf Grund der gemessenen „Apparatkonstanten“ von vornherein berechnet werden können. Da ich es vorzog, die gemessenen Ablenkungen (, ) nicht gleich von vornherein „auf unendlich kleine Ablenkungen (, ) zu reduzieren“, so mußten die Bewegungsgleichungen der Elektronen vollständig integriert werden. Dieselben lauten für alle verglichenen Theorien:

.

Hierin bedeutet das kinetische Potential (die Lagrangesche Funktion) eines bewegten Elektrons, als Funktion der Geschwindigkeit

,

und die elektrische und magnetische Feldstärke, beide in der -Richtung wirkend, als bekannte Funktionen von , das elektrische Elementarquantum, die Lichtgeschwindigkeit. Die elektrischen Größen sind im elektrostatischen Maß gemessen.

Das Elektron bewegt sich von der Strahlungsquelle:

durch die Diaphragma-Öffnung:

bis zu dem Punkte der photographischen Platte:

.

Um die Diaphragma-Öffnung gerade zu treffen, muß ein Elektron bei bestimmter Anfangsgeschwindigkeit in einer ganz bestimmten Richtung von der Strahlungsquelle ausgehen. Dadurch kommt auf der photographischen Platte () eine bestimmte Kurve (, ) zustande, deren Punkte von einem einzigen Parameter, etwa von der Anfangsgeschwindigkeit, abhängen.

§ 2. Bestimmung der äußeren Feldkomponenten.

Die Integration der Bewegungsgleichungen erfordert noch die Kenntnis von und als Funktionen von . Die magnetische Feldstärke habe ich als konstant angenommen, und zwar so groß, daß der Wert des „magnetischen Feldintegrals“ der nämliche ist wie bei Herrn Kaufmann. Derselbe beträgt[2]:

.

Setzt man hierin konstant, so ergibt sich:

und daraus nach den angegebenen Werten von , und :

.

Die elektrische Feldstärke ist zwischen dem Diaphragma und der photographischen Platte null, zwischen den Kondensatorplatten in gehörigem Abstande von den Rändern konstant. Wir beziehen zunächst mit Herrn Kaufmann die Feldstärke auf ihren Wert im homogenen Teil des Feldes als Einheit und nennen die so gemessene Feldstärke . Dann ist:

für .

Zwischen der Strahlungsquelle und dem Diaphragma habe ich als symmetrisch in bezug auf den Mittelpunkt dieser Strecke: angenommen, so daß, wenn man setzt:

. (1)

Der Anstieg der elektrischen Feldstärke von der Strahlungsquelle bis zu ihrem konstanten Werte 1 sei als linear angenommen, ebenso also auch der Abfall zum Werte 0 beim Diaphragma. Das heißt:

[755]

(2)

Dann ist wegen der Stetigkeit von :

und .

Den Wert der Konstanten habe ich so groß angenommen, daß der Wert des „elektrischen Feldintegrals“ der nämliche ist wie bei Herrn Kaufmann. Derselbe beträgt[3]:

.

Setzt man hierin die obigen Werte ein, so folgt:

und daraus:

Zur Reduktion der elektrischen Feldstärke auf absolutes elektrostatisches Maß: , oder auf absolutes elektromagnetisches Maß: , hat man[4]:

. (3)

Daß die gemachten vereinfachenden Annahmen in bezug auf das elektrische und magnetische Feld für die hier in Betracht kommenden Rechnungen wirklich ausreichend sind, wird sich weiter unten ergeben.

§ 3. Magnetische Ablenkung.

Führt man in die Bewegungsgleichungen (§ 1) den Impulsvektor (Bewegungsgröße)

(4)

und außerdem das elektromagnetische Maß für die elektrische Feldstärke und für das elektrische Elementarquantum ein, so lauten dieselben:

(5)
(6)
. (7)

Da konstant ist, so lassen sich (5) und (7) nach der Zeit integrieren. Dividiert man die beiden so erhaltenen Gleichungen, so ist , und ganz eliminiert, und eine zweite Integration liefert die Gleichung der Bahnprojektion auf die -Ebene, eines Kreises, der durch die Punkte , , , und , hindurchgeht und durch sie bestimmt ist. Die laufenden Koordinaten , der Punkte dieses Kreises lassen sich darstellen als Funktionen eines einzigen variablen Parameters: des Winkels , welchen die in der Richtung der Bewegung genommene Tangente des Kreises mit der -Achse bildet, positiv, wenn die Bewegung nach der Seite der positiven -Achse zu erfolgt:

. (8)

Hierbei ist

(9)

der Radius des Kreises und der Wert von für . In diesen Gleichungen ist schon ausgedrückt, daß für und für , . Berücksichtigt man noch, daß für , , so ergeben sich daraus die Werte:

(10)

und

(11)

und ebenso aus (9).

Durch Einsetzen von (8) in (5) oder in (7) erhält man:

.

(12)

Nun ist:

,

wofür man mit genügender Annäherung setzen kann[5]:

. (13)

Folglich:

. (14)

Die Impulsgröße eines jeden Elektrons ist also unabhängig von der Zeit und läßt sich, ohne auf eine spezielle Theorie einzugehen, aus der magnetischen Ablenkung berechnen.

Da unabhängig von der Zeit ist, so folgt das nämliche für die Geschwindigkeit und nach (12) für die Winkelgeschwindigkeit . Der Winkel ist also linear von der Zeit abhängig.

§ 4. Elektrische Ablenkung.

Aus (6) folgt zunächst:

und daraus nach (12) und (13)

. (15)

[756] Durch diese Differentialgleichung und durch die Bedingung, daß für und für ist, wird als Funktion von bestimmt.

Zwischen Strahlenquelle und Diaphragma ist wegen (1) und wegen:

.

Die Kurve verläuft also hier symmetrisch in der Weise, daß:

und .

Die Integration der Differentialgleichung (15) ergibt:

oder, da :

.

Zwischen Diaphragma und Platte ist , also:

,

und, durch abermalige Integration dieser letzten Gleichung:

. (16)

Das hier vorkommende Integral ergibt sich, wenn man bedenkt, daß nach (2) für:

,

wobei

. (17)

Dann folgt:

und mit Einführung von aus (3):

. (18)
§ 5. Verschiedene Theorien.

Der Zusammenhang zwischen der elektrischen Ablenkung und der magnetischen Ablenkung wird bedingt durch die Abhängigkeit der Impulsgröße von der Geschwindigkeit , und diese ist gegeben durch den Ausdruck des kinetischen Potentials als Funktion von , welcher für die einzelnen Theorien verschieden lautet. Ich habe die Rechnungen nur für diejenigen beiden Theorien durchgeführt, welche bis jetzt die meiste Ausbildung erfahren haben: die Abrahamsche[6], wonach das Elektron die Form einer starren Kugel hat, und die Lorentz-Einsteinsche[7], wonach das „Prinzip der Relativität“ genaue Gültigkeit besitzt. Zur Abkürzung werde ich im folgenden die erste Theorie als „Kugeltheorie“, die zweite als „Relativtheorie“ bezeichnen. Dann ist nach der Kugeltheorie, einerlei ob Volumenladung oder Flächenladung angenommen wird, da es sich hier nur um quasistationäre Bewegungen handelt, das kinetische Potential:

(19)

( die Masse des Elektrons für ). Folglich:

. (20)

Dagegen nach der Relativtheorie[8]:

. (21)

Folglich:

. (22)

Führt man mit Herrn Kaufmann die beiden Größen und ein:

,   und   , (23)

so ergibt sich nach der Kugeltheorie:

(24)

und nach der Relativtheorie:

. (25)

Mit Einführung von statt geht die Gleichung (14) für die magnetische Ablenkung über in:

. (26)
§ 6. Zahlenwerte.

Die Vergleichung der beobachteten mit den theoretischen Werten habe ich in der Weise ausgeführt, daß für jede gemessene magnetische Ablenkung nach jeder der beiden Theorien der entsprechende Wert der elektrischen Ablenkung berechnet und mit dem beobachteten Werte verglichen ist. Dementsprechend enthält die folgende Tabelle in der ersten Spalte [757] die magnetische Ablenkung nach der Kaufmannschen Tabelle VI (l. c. S. 524), die zweite Spalte die dazugehörigen aus (10) berechneten Werte des Winkels , in Graden, die dritte Spalte den aus (26) folgenden Wert von , wobei für das Verhältnis von Ladung zur Masse der von Herrn Kaufmann (l. c. S. 551) aus der Simonschen Zahl extrapolierte, für alle Theorien gültige Wert:

(27)

benutzt ist. Die vierte und sechste Spalte enthält die nach (24) und (25) aus berechneten Werte von , die fünfte und siebente Spalte die daraus nach (18) folgenden Werte von , wobei die dazu nötigen und aus (17) und (11) entnommen sind; endlich die achte Spalte die „beobachteten“ Werte von nach der Kaufmannschen Tabelle VI.

Beobachtet
Kugeltheorie Relativtheorie Beobachtet
0,1354 1,977° 0,3871 0,9747 0,0262 0,9326 0,0273 0,0247
(0,3870) (0,0262) (0,0274)
0,1930 2,810 0,5502 0,9238 0,0394 0,8762 0,0415 0,0378
(0,5502) (0,0394) (0,0415)
0,2423 3,517 0,6883 0,8689 0,0526 0,8237 0,0555 0,0506
(0,6881) (0,0526) (0,0554)
0,2930 4,237 0,8290 0,8096 0,0682 0,7699 0,0717 0,0653
(0,8286) (0,0682) (0,0717)
0,3423 4,925 0,9634 0,7542 0,0853 0,7202 0,0893 0,0825
(0,9630) (0,0855) (0,0895)
0,3930 5,623 1,100 0,7013 0,1054 0,6728 0,1099 0,1025
(1,099) (0,1055) (0,1099)
0,4446 6,325 1,236 0,6526 0,1280 0,6289 0,1328 0,1242
(1,234) (0,1281) (0,1328)
0,4926 6,692 1,360 0,6124 0,1511 0,5924 0,1562 0,1457
(1,358) (0,1512) (0,1561)
0,5522 7,735 1,510 0,5685 0,1823 0,5521 0,1878 0,1746
(1,506) (0,1822) (0,1874)

Um zunächst einen Vergleich meiner Berechnungsmethode mit der von Herrn Kaufmann angewandten zu ermöglichen, habe ich unter die Werte von , sowie unter die theoretischen Werte von in Klammern diejenigen Zahlen gesetzt, welche sich für die nämlichen Größen ergeben, wenn man mit Herrn Kaufmann nicht von den beobachteten Werten , sondern von den auf „unendlich kleine Ablenkung reduzierten“ Werten (l. c. Tabelle VII, S. 529) ausgeht, aus diesen mittels der Kaufmannschen Gleichungen (14) und (17) berechnet, das dazugehörige nach jeder der beiden Theorien bestimmt, und dann mittels der Kaufmannschen Gleichung (18) zu übergeht. Daraus ergibt sich dann nach der Kaufmannschen Gleichung (12). Bei dieser Berechnung sind für die Kaufmannschen Konstanten und natürlich nicht die „Kurvenkonstanten“, sondern die unabhängig von den Ablenkungsversuchen gemessenen „Apparatkonstanten“ zugrunde gelegt. Die Vergleichung der eingeklammerten mit den darüber stehenden Zahlen zeigt, daß die Resultate der Kaufmannschen Berechnungsweise sich von denen der meinigen nur ganz unwesentlich unterscheiden, wodurch jede der beiden Methoden die andere in gewisser Weise stützt.

Was nun ferner den Vergleich der theoretischen Werte von mit den beobachteten betrifft, so liegen, wie man sieht, die letzteren durchweg der Kugeltheorie näher als der Relativtheorie. Aber als eine definitive Bestätigung der ersten und Widerlegung der zweiten Theorie können dieselben nach meiner Meinung nicht gedeutet werden. Denn dazu wäre doch erforderlich, daß die Abweichungen der theoretischen Zahlen von den beobachteten für die Kugeltheorie klein sind gegen die für die Relativtheorie. Das ist aber durchaus nicht der Fall: im Gegenteil sind die Abweichungen der theoretischen Zahlen voneinander durchweg kleiner als die jeder theoretischen Zahl von der beobachteten.

Man könnte nun vielleicht vermuten, daß der Mangel an Übereinstimmung durch den benutzten Wert (27) für das Verhältnis hervorgerufen ist, und daß durch eine passende Abänderung dieses Wertes eine genügende Übereinstimmung mit einer der beiden Theorien erzielt werden könnte. Dies läßt sich leicht folgendermaßen prüfen. Die Gleichung (18) ergibt, wenn man darin für irgendeinen beobachteten Wert einsetzt, den entsprechenden Wert der Geschwindigkeit unabhängig von einer speziellen Theorie, und man kann hieraus für jede Theorie einzeln, nach (24) bezw. nach (25), den dazugehörigen Wert von , und dann aus (26) das Verhältnis berechnen. Dies Verfahren ergibt aber nicht nur für keine der beiden Theorien konstante Werte für , sondern auch schon für Zahlen, die von vornherein für jede Theorie unannehmbar sind. Dasselbe findet man natürlich auch bei der Kaufmannschen Berechnungsmethode. Kaufmann[9] gibt für die Ablenkungen und zwei Gleichungen, welche kombiniert lauten:

.

Hierbei ist


eine Apparatkonstante, unabhängig von dem Werte und unabhängig von jeder speziellen [758] Theorie. Setzt man nun aus Tabelle VII (S. 529) z. B. und , so ergibt sich:

,

also von vornherein mit keiner der theoretischen Formeln verträglich.

Somit scheint nichts übrig zu bleiben als die Annahme, daß in der theoretischen Deutung der gemessenen Größen noch irgendeine wesentliche Lücke enthalten ist, welche erst ausgefüllt werden muß, ehe die Messungen sich zu einer definitiven Entscheidung zwischen der Kugeltheorie und der Relativtheorie verwerten lassen werden. Man könnte hier an verschiedene Möglichkeiten denken, von denen ich aber keine näher erörtern möchte, da mir die physikalischen Grundlagen für jede derselben zu unsicher scheinen.

§ 7. Unterschied der Theorien für Strahlen von bestimmter magnetischer Ablenkbarkeit.

Dagegen möchte ich einen anderen Punkt hier noch etwas ausführlicher zur Sprache bringen: das ist die Frage, in welchem Gebiete des „Strahlenspektrums“ eine Entscheidung zwischen den gegenüberstehenden Theorien am ersten möglich sein wird. Es scheint nämlich die Ansicht ziemlich verbreitet zu sein, daß die größten Unterschiede der Theorien sich bei den schnellsten Strahlen finden. Diese Ansicht, welche offenbar dem Umstande entspringt, daß die Impulsgrößen , die sich nach den Gleichungen (20) und (22) für beide Theorien ergeben, um so mehr voneinander verschieden sind, je näher an 1 heranrückt, ist jedoch irrtümlich; unter Umständen ist das gerade Gegenteil richtig. Denn bei den Messungen vergleicht man nicht die beobachteten Werte von mit den nach den Theorien zu erwartenden Werten von bei bestimmtem , sondern man vergleicht etwa, wie bei den Kaufmannschen Messungen, die beobachteten Werte der elektrischen Ablenkbarkeit mit den nach den Theorien zu erwartenden Werten der elektrischen Ablenkbarkeit, bei bestimmter magnetischer Ablenkbarkeit, und das ist etwas ganz anderes.

Wenn man einen Elektronenstrahl durch seine magnetische Ablenkbarkeit charakterisiert, so heißt das, man legt ihm einen bestimmten Wert der Impulsgröße bei; denn nach (14) ist direkt bestimmt durch den Krümmungsradius . Zu einem bestimmten Werte von , dem nach (23) auch ein bestimmter Wert von entspricht, gehören aber nach den beiden Theorien verschiedene Werte von . Bezeichnen wir sie mit und , wobei für die Kugeltheorie, für die Relativtheorie gelten möge, so ist nach (24) und (25):

.

Hieraus folgt, daß stets:

.

Ein Strahl von bestimmter magnetischer Ablenkbarkeit besitzt also nach der Relativtheorie eine kleinere Geschwindigkeit als nach der Kugeltheorie.

Betrachten wir jetzt die elektrische Ablenkbarkeit nach beiden Theorien. Die elektrische Ablenkung in einer bestimmten (nicht zu großen) Entfernung ist, wie man direkt aus (6) findet, proportional dem Quotienten . Die nach den beiden Theorien zu erwartenden elektrischen Ablenkbarkeiten unterscheiden sich also um die Differenz:

.

Ein Strahl von bestimmter magnetischer Ablenkbarkeit wird nach der Relativtheorie elektrisch stärker abgelenkt als nach der Kugeltheorie, und zwar ist der Unterschied um so größer, je größer die magnetische Ablenkbarkeit ist. Natürlich bezieht sich dieser Satz, wie auch die unten folgenden analogen Sätze, auf den absoluten, nicht auf den prozentischen Unterschied. Als Illustration hierzu können die in der obigen Tabelle nach beiden Theorien berechneten Werte von dienen, deren Differenz mit wachsendem zunimmt.

Für (magnetische Ablenkung gleich Null) ist:

.

Für (magnetische Ablenkung gleich unendlich) ist:

.

Da nun eine experimentelle Entscheidung zwischen den beiden Theorien um so eher zu treffen sein wird, je weiter ihre Resultate auseinandergehen, so ist zu vermuten, daß Messungen der elektrischen Ablenkbarkeit, die zur Entscheidung zwischen den Theorien führen sollen, zweckmäßiger mit Kathodenstrahlen als mit Becquerelstrahlen anzustellen sind.

§ 8. Unterschied der Theorien für Kathodenstrahlen von bestimmtem Entladungspotential.

Wenn man zu den Ablenkungsversuchen homogene Kathodenstrahlen benutzt, so ist [759] außer der magnetischen und der elektrischen Ablenkbarkeit noch ein drittes Merkmal eines Strahles meßbar: das Entladungspotential, und es erscheint dann zweckmäßig, durch den Wert des Entladungspotentials den Strahl direkt zu charakterisieren. In diesem Falle erhebt sich die Frage: Wie unterscheiden sich die Theorien hinsichtlich der magnetischen und hinsichtlich der elektrischen Ablenkbarkeit eines Strahles von bestimmtem Entladungspotential? Durch das Entladungspotential Volt ist die Energie des Strahles gegeben, da:

.

Nun ist für jede Theorie:

,

also für die Kugeltheorie nach (19):

und für die Relativtheorie nach (21):

.

Bezeichnen wir also die nach der letzten Theorie berechneten Größen wieder durch einen beigefügten Strich und führen wieder nach (23) und ein, so ist jetzt der Zusammenhang von und durch die Gleichung ausgedrückt:

.

Ferner ist, wie früher:

.

Aus diesen Gleichungen ergeben sich folgende Resultate:

1. Für die Geschwindigkeit ist:

,

d. h. ein Strahl von bestimmtem Entladungspotential besitzt nach der Relativtheorie eine kleinere Geschwindigkeit als nach der Kugeltheorie.

2. Für die magnetische Ablenkbarkeit ist:

,

d. h. ein Strahl von bestimmtem Entladungspotential besitzt nach der Relativtheorie eine kleinere magnetische Ablenkbarkeit als nach der Kugeltheorie. Der Unterschied verschwindet für unendlich große und für unendlich kleine Entladungspotentiale, er ist ein Maximum für das Entladungspotential Volt . Bei der praktischen Größe dieser Zahl wird man sagen dürfen, daß innerhalb der zurzeit ausführbaren Messungen der Unterschied der Theorien um so größer wird, zu je höheren Entladungspotentialen man fortschreitet.

3. Für die elektrische Ablenkbarkeit ist:

für Volt ,

d. h. ein Strahl von bestimmtem Entladungspotential besitzt nach der Relativtheorie eine größere, ebenso große oder kleinere elektrische Ablenkbarkeit als nach der Kugeltheorie, je nachdem das Entladungspotential kleiner, ebenso groß oder größer ist als Volt. Daher wird man sagen dürfen, daß innerhalb der zurzeit ausführbaren Messungen die elektrische Ablenkbarkeit eines solchen Strahles nach der Relativtheorie stets größer ist als nach der Kugeltheorie, und zwar ist der Unterschied um so größer, je kleiner das Entladungspotential ist.

Für wird speziell:

.

Gleichzeitige Messungen des Entladungspotentials, der magnetischen und der elektrischen Ablenkbarkeit der Kathodenstrahlen sind bekanntlich von H. Starke[10] ausgeführt worden. Möglicherweise lassen sich schon diese mit zu einer Prüfung der beiden Theorien verwerten. Ich fand aber bisher nicht Gelegenheit, auf diese Frage näher einzugehen.

Diskussion.

Kaufmann: Ich möchte als Nächstbeteiligter ein paar Worte zur Ergänzung hinzufügen. Ich bitte, die gezeichnete Kurve zirkulieren zu lassen, sowie die fünf Originalplatten, auf denen Sie je zwei symmetrische Kurvenäste von derselben Gestalt wie auf der Zeichnung erblicken. Was die Resultate betrifft, so besteht vollständige Übereinstimmung zwischen Herrn Planck und mir, und es ist erfreulich für mich, daß die ganz andere Rechnung Plancks zu identischen Zahlenresultaten geführt hat. Das deutet darauf hin, daß in meiner Berechnung kein Rechenfehler enthalten ist. Was nun aber den Schluß betrifft, so folgt aus den Beobachtungstatsachen, daß weder die Lorentzsche noch die Abrahamsche Theorie mit ihnen übereinstimmt. Dieser Schluß steht fest. Die Lorentzsche Theorie stimmt noch schlechter als die Abrahamsche. Die Abweichungen der Lorentzschen Theorie (10–12 Proz.) sind so stark, daß sie an keiner Stelle durch Beobachtungsfehler [760] zu erklären sind. Also wenn kein prinzipieller Fehler in den Beobachtungen vorhanden ist, so ist die Lorentzsche Theorie beseitigt. Bei der Abrahamschen Theorie betragen die Abweichungen 3–5 Proz.; auch diese liegen außerhalb der Grenze der Beobachtungsfehler. Aber die Möglichkeit von Fehlern, die sich in der Weise summiert haben, daß eine solche Abweichung hierdurch herauskommt, wäre immerhin noch denkbar.

Planck: Wenn die für eine vollständige Deutung der Beobachtungen notwendige Korrektion der theoretischen Zahlen außerhalb der Beobachtungsfehler liegt, so ist es für mich denkbar, daß, wenn man ihr Rechnung trägt und infolgedessen über die Beobachtungsfehler hinaus Änderungen anbringt, daß man dann der Lorentzschen Theorie näherkommen könnte, als der Abrahamschen. Aus der bloßen Tatsache, daß die Abweichungen der einen Theorie kleiner sind, würde ein Vorzug für sie nicht folgen.

Bucherer: Ich möchte auf die Bemerkung des Vortragenden zurückkommen, daß meine Theorie nicht hinreichend entwickelt ist, um hier schon weiter erörtert zu werden. Ich habe mich intensiv mit ihr und ihren Konsequenzen beschäftigt und gefunden, daß sie nicht wesentlich Besseres leistet, als die frühere Lorentzsche Theorie und die spätere Lorentzsche. Ein Einwand ist darin zu finden, daß in der Dispersionstheorie die elektromagnetischen Massen Schwierigkeiten machen; in allen übrigen Punkten leistet die Theorie des bei konstantem Volum deformierten Elektrons und des entsprechend deformierten Systems ungefähr dasselbe wie die neuere Lorentzsche. Bei der Ausdehnung der Planckschen Erwägungen auf mein Elektron könnte ich nicht sagen, welche Folge diese Erwägungen für mein Elektron haben würden. Aber auf einige theoretische Punkte will ich hinweisen. Die Dynamik des Elektrons ist ja nicht allein prüfbar durch die Ablenkung der Becquerel-Strahlen. Abraham hat schon hingewiesen auf die Notwendigkeit, dem Lorentzschen Elektron eine besondere innere Energie zuzuschreiben. Die Schwierigkeit scheint mir größer als die Abweichung von den Kaufmannschen Messungen. Gegen die Einsteinsche Relativitätstheorie lassen sich gewisse Einwände erheben. Er wendet die Maxwellschen Gleichungen an, übersieht aber, daß gewisse Voraussetzungen nicht erfüllt sind, nämlich die Gültigkeit des Divergenztheorems der elektrischen Kraft.

Nachdem ich erkannt hatte, daß die bisherigen Theorien, auch die meinige mit eingeschlossen, den Anforderungen nicht genügen, habe ich mir die Frage vorgelegt, ob man unter Beibehaltung der Maxwellschen Gleichungen und unter Zugrundelegung des Prinzips der Gleichheit von actio und reactio zur Übereinstimmung mit der Erfahrung kommen kann. Das gelingt, wenn man den Satz zugrunde legt: Die ponderomotorische Kraft zwischen zwei in relativer gleichförmiger Bewegung zueinander begriffenen Systemen ist unter Beachtung des Vorzeichens die auf Grund der Maxwell-Lorentzschen Differentialgleichungen berechnete Kraft, welche auf das willkürlich als ruhend angenommene System ausgeübt wird. Natürlich fällt bei dieser Auffassung der Begriff des Äthers fort; denn sobald ich relative Bewegungen einführe und das Koordinatensystem in einem beliebigen Körper des dynamischen Systems festlege, verzichte ich auf die Äthertheorie. Ich habe die Konsequenzen verfolgt und bin in bezug auf die Kaufmannschen Messungen zu einigen Schlüssen gelangt, die ich mitteilen will. Zunächst würde das starre Elektron in Frage kommen. Auf Grund der Relativtheorie kommt man zu dem Schluß, daß andere Kräfte wirken, wenn die Becquerelstrahlen nicht mehr parallel, sondern schief zur Kondensatorplatte gerichtet sind. Hier wäre eine leichte Handhabe geboten, das Prinzip der Relativtheorie auf Grund der Maxwellschen Gleichungen zu prüfen, man brauchte nur Becquerelstrahlen schief gegen das elektrische oder magnetische Feld fliegen zu lassen. Bei senkrechter Bewegung bekommt man merkwürdigerweise dieselben Kräfte wie Lorentz. Ich habe schon überlegt, ob die Abweichung der Kaufmannschen Messungen darauf beruht, daß ein Winkel gebildet wird.

Runge: Ich möchte Herrn Planck folgendes fragen: Bei dem Widerspruch, den er findet, wenn er aus dem ersten Werte berechnet, ist doch zu beachten, ob nicht eine kleine Änderung der Beobachtung schon eine große Änderung im Werte hervorruft. Man müßte das Intervall der berechnen, für die noch zulässige Fehler der Beobachtung vorhanden sind.

Planck: Es ist proportional . Eine kleine Änderung von würde schon viel machen, weil klein ist gegen . Die Fehler aber sind schon so groß, daß man die Werte nicht benutzen kann; die äußersten Werte müßte man jedenfalls ausschalten, man kann sie eben nicht für die Theorie brauchen. An Herrn Bucherer möchte ich noch eine Frage richten. Lassen sich Ihre Gleichungen auch auf die Lagrangesche Form bringen? Und wenn ja, welchen Wert hat die Lagrangesche Funktion für Ihre neuere Theorie, haben Sie das untersucht?

Bucherer: Nein, das habe ich noch nicht untersucht und könnte es in diesem Augenblick nicht entscheiden.

Planck: Das wäre doch sehr wichtig, weil durch die Lagrangesche Form die Bewegungsgleichungen [761] des Elektrons auf die der allgemeinen Mechanik zurückgeführt werden.

Bucherer: Ich vermute, daß die Maxwellschen Gleichungen sich auf die Lagrangesche Form bringen lassen. Ich habe diese spezielle Frage noch nicht untersucht, aber ich nehme an, daß es möglich ist, denn ich wende die Maxwellschen Gleichungen unverändert an auf die quasi stationäre Bewegung, möchte aber damit nichts Endgültiges sagen.

Abraham: Wenn man die Zahlen ansieht, so geht aus ihnen hervor, daß die Abweichungen der Lorentzschen Theorie mindestens doppelt so groß sind als diejenigen der meinigen, also kann man wohl sagen, daß die Kugeltheorie doppelt so gut die Ablenkbarkeit der -Strahlen darstellt als die Relativtheorie. (Große Heiterkeit.) Wenn ich bedenke, welches der Stand der Frage vor 5 Jahren war, als ich begann, mich mit ihr zu beschäftigen, so muß ich wohl von den Ergebnissen befriedigt sein; glaubte ich doch zunächst nicht, daß die Formel mit den Versuchen stimmen würde und war sehr überrascht, als Kaufmann mir eines Tages sagte, daß die Formel mit den verfeinerten Messungen gut stimmte. Allerdings sehe ich den Vorzug der Kugeltheorie vor der Relativtheorie nicht allein in der besseren Übereinstimmung mit den Messungen, sondern vor allem auch darin, daß sie eine rein elektromagnetische Theorie ist. Man war ja von der Frage ausgegangen, ob die Masse des Elektrons eine rein elektromagnetische Größe sei. Die Kugeltheorie bejaht diese Frage; sie betrachtet die Energie der Kathodenstrahlen als rein elektromagnetische. Die Ansätze der elektromagnetischen Energiedichte werden nun auch von Lorentz zugrunde gelegt. Das Lorentzsche Elektron hat aber außer der elektromagnetischen Energie, wie ich bewiesen habe und was nicht widerlegt ist, noch eine Art innerer potentieller Energie. Nach der Relativtheorie würde man also die Kathodenstrahlen nicht als rein elektromagnetische Vorgänge auffassen, sondern als Vorgänge, zu deren Erklärung die Elektrodynamik nicht ausreicht.

Gans: Ich möchte darauf hinweisen, daß jede Annahme über die Formveränderung des Elektrons bei Bewegungen selbstverständlich mehr Parameter in die Theorie hinein bringt, so daß man sich den Erscheinungen besser anpassen kann.

Der Michelson-Morleysche und der Trouton-Noblesche Versuch verlangen eine bestimmte Differenz der Längs- und Querdilatationen, das Verhältnis derselben bleibt noch unbestimmt.

Man könnte noch mehr Theorien aufstellen, bei denen dies Verhältnis der Längs- zur Querdilatation immer andere Werte hätte; eine würde die Erscheinungen der Becquerelstrahlen am besten erklären, aber man könnte nicht sagen, es wäre die beste; es wäre nur eine nachträgliche Anpassung an die Erscheinungen.

Planck: Abraham hat recht, wenn er sagt, der wesentliche Vorzug der Kugeltheorie würde sein, daß es eine rein elektrische Theorie wäre. Wenn dies durchführbar wäre, wäre das wohl sehr schön, vorläufig ist es nur ein Postulat. Der Lorentz-Einsteinschen Theorie liegt auch ein Postulat zugrunde, nämlich, daß keine absolute Translation nachzuweisen ist. Beide Postulate lassen sich, wie es scheint, nicht vereinigen, und nun kommt es darauf an, welchem Postulat man den Vorzug gibt. Mir ist das Lorentzsche eigentlich sympathischer. Am besten wird es wohl so sein, wenn auf beiden Gebieten weiter gearbeitet wird und die Experimente schließlich die Entscheidung geben.

Sommerfeld (München): Dem pessimistischen Standpunkt des Herrn Planck möchte ich mich einstweilen nicht anschließen. Bei der außerordentlichen Schwierigkeit der Messungen könnten die Abweichungen doch vielleicht in unbekannten Fehlerquellen ihren Grund haben. In der von Herrn Planck formulierten Prinzipienfrage möchte ich vermuten, daß die Herren unter 40 Jahren das elektrodynamische Postulat, diejenigen über 40 Jahre das mechanisch-relativistische Postulat bevorzugen werden. Ich gebe dem elektrodynamischen den Vorzug. (Heiterkeit.)

Kaufmann: Zur Postulatfrage möchte ich bemerken, daß der erkenntnistheoretische Wert des Postulats der relativen Bewegung doch nicht sehr groß ist, da es doch nur für gleichmäßige Translation brauchbar ist. Sowie man Rotationen und ungleichmäßige Bewegungen berücksichtigt, kommt man damit doch nicht aus. Man will damit den vielfach als unbequem empfundenen Äther aus der Welt schaffen, muß ihn aber bei den Rotationsbewegungen, z. B. bei der Abplattung der Weltkörper, wieder einführen.

Planck: Natürlich handelt es sich nur um gleichmäßige Translation. Ungleichmäßige können wir schon durch die Mechanik nachweisen, gleichmäßige aber auch in der Mechanik nicht. Die Forderung ist, daß das, was in der Mechanik nicht nachweisbar ist, auch in der Elektrodynamik nicht nachweisbar ist.




  1. Ann. d. Phys. (4) 19, 487, 1906.
  2. l. c. S. 525 und S. 544.
  3. l. c. S. 526 und S. 547.
  4. l. c. S. 547.
  5. l. c. S. 527.
  6. M. Abraham, Ann. d. Phys. (4) 10, 105, 1903.
  7. H. A. Lorentz, Versl. Kon. Akad. v. Wet. Amsterdam 1904, S. 809. A. Einstein, Ann. d. Phys. (4) 17, 891, 1905. Vgl. auch H. Poincaré, C. R. 140, 1504, 1905.
  8. z. B. M. Planck, Verh. D. Phys. Ges. 8, 140, 1906.
  9. l. c. S. 529, Gleichung (14) und (15).
  10. H. Starke, Verh. D. Phys. Ges. 5, 241, 1903.